Meine Übersetzungen auf der Frankfurter Buchmesse
Die Vorfreude steigt. Kommende Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse 2024 und Italien ist Gastland. Das hat im Vorfeld in der Branche und Übersetzendenkreisen für so einige Aufregung gesorgt, denn mit der aktuell rechten Regierung im Land lässt sich nicht so gut Kultur betreiben. Das Image-Video der italienischen Buchmessen-Macher ist ein reaktionärer Horror und verhieß nichts Gutes.
Aber so langsam kommt hier alles in die Gänge. Und ich freue mich, dass ich mit insgesamt vier italienischen Titeln, die in den vergangenen Wochen in meiner Übersetzung erschienen sind, auf die Messe gehe.
Erich-Kästner-like
Da ist zunächst einmal die Neuauflage von Gianni Rodaris »Gutenachtgeschichten am Telefon«, erschienen im Susanna Rieder Verlag, München. Darin sind 60 der ursprünglich 70 Geschichten Rodaris versammelt, neu illustriert von Anna Ring. Dieser Klassiker der Kinderliteratur hat zwar schon 62 Jahre auf dem Buckel, aber die kurzen Geschichten mit ihren fantasievollen Ideen und Figuren unterhalten die Kinder auch heute noch.
Eine ganz wunderbare Rezension ist dazu in der Zeitschrift »Eselsohr« erschienen. Da heißt es: »Und Ulrike Schimming hat eine literarische Preziose auf Deutsch geschaffen. Heutig und dennoch ein wenig Erich-Kästner-like, dabei Rodari in Reinkultur, aktuell und gestrig zugleich und der Beweis, wie gut, nötig und erfrischend Neuentdeckungen sind, wenn man ein paar Dinge beherzigt. Viva Gianni Rodari!«
Alt und doch so aktuell
Ein weiterer Klassiker, allerdings ganz anderer Art, ist Matilde Seraos »Der Bauch von Neapel«, erschienen in der Reihe »Perlen« im S. Marix Verlag. In 21 journalistischen Kolumnen begleitete Matilde Serao von 1884 bis 1906 die Stadterneuerung in Neapel. Und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie wettert gegen die Politik, gegen die Missstände, gegen Immobilienspekulationen. Sie erzählt, wie die Ärmsten der Armen in den alten Innenstadtviertel leben bzw. hausen. Sie schildert die prekären Wohnverhältnisse, die schlechtbezahlten Jobs, die unverschämt hohen Mieten. Dazu liefert sie anschauliche Berichte über die Leidenschaften der Einwohner von Neapel, sei es das Essen, das Lottospiel oder der (Aber)glauben. Serao, selbst aus einer gutbürgerlichen Familie, steht dabei immer auf der Seite der Armen und der überforderten Frauen – obwohl sie keine Feministin ist. Hier bekommt man einen ungeschönten Eindruck, wie hart das Leben Ende des 19. Jahrhunderts in Neapel war.
Meine Übersetzung ist die erste in deutscher Sprache.
Leidenschaft für die Poesie
Leidenschaftlich war auch Alda Merini, die große Dichterin des 20. Jahrhunderts. Ebenfalls in der Reihe »Perlen« beim S. Marix Verlag erschienen liefert sie in »Das Fleisch der Engel« einen Eindruck ihrer Poesie, ihrer vermutlich größten Leidenschaft. Neben ihrer Liebe zu den Männern.
In den Gedichten befasst sich Merini mit den faszinierenden, wie unfassbaren Engel-Wesen, die bei ihr zu sehr sinnlichen und fast menschlichen Figuren werden. Im zweiten Teil des Buches, der aus dem Band »Meine Männer« besteht, erzählt sie kurze Anekdoten aus ihrem Leben und von ihren Lieben. Dabei kommt auch immer wieder durch, dass Merini lange Jahre in der Psychiatrie in Mailand zugebracht hat. Sie hat die damals fürchterliche Behandlung, inklusive Fixierung, Elektroschocks und medikamentöser Ruhigstellung, vermutlich nur überlebt, weil sie Gedichte geschrieben hat.
Merini ist eine Autorin, die hier noch nahezu unbekannt ist und in diesem Jahr ein wenig entdeckt wird.
Erinnern ist lebenswichtig
Das vielleicht wichtigste Buch für mich in diesem Jahr ist das Memoire »Erinnern macht frei« der Senatorin auf Lebenszeit Liliana Segre. Darin erzählt sie, Jahrgang 1930, wie sie im Faschismus aufwuchs und ganz bewusst mitbekam, wie sich das Leben für jüdische Menschen in Italien nach dem Erlass der Rassengesetze 1938 veränderte. Nachdem die Nazis Norditalien 1943 besetzten, versuchte ihr Vater, sie und zwei alte Cousins in der Schweiz in Sicherheit zu bringen. Doch die Schweiz ließ die vier nicht ins Land. Sie wurden verhaftet und von den Deutschen nach Auswitz deportiert. Nur Liliana überlebte.
Eindrücklich schildert sie Verhaftung, Deportation, das Leben im Lager, die Zwangsarbeit. Nur mit viel Glück übestand die damals 13-Jährige das Lager. Und den anschließenden Todesmarsch.
Dass das Leben nach ihrer Rückkehr nach Italien anfangs auch nicht gerade glücklich war, zeigte die Ignoranz ihrer Familie und der italienischen Gesellschaft, die von ihren Erlebnissen nichts wissen wollte. Nach langen, schwierigen Jahren, in denen sie aber auch die große Liebe ihres Lebens traf und drei Kinder bekam, wurde Liliana Segre schließlich zu einer der wichtigsten Stimmen der Erinnerung. Unermüdlich erzählt sie von ihren Erfahrungen und von Auschwitz. Sie kämpft noch heute gegen die Gleichgültigkeit, die solchen katastrophalen Entwicklungen vorausgeht.
Als Senatorin auf Lebenszeit sieht sie sich aktuell mit einer rechten Regierung konfrontiert und ist vermehrt antisemitischen Angriffen ausgesetzt. Es ist wirklich unglaublich, dass sie am Ende ihres Lebens all dies noch einmal erleben muss. Doch vor ihrer unbeugsamen Haltung kann man sich einfach nur verbeugen.
Italienische Vielfalt im Buchmarkt
Natürlich gibt es aktuell noch wesentlich mehr italienische Neuerscheinungen und Neuentdeckungen.
Einen ersten Überblick kann man sich hier verschaffen.
Ansonsten freue ich mich auf vier volle Messetage und hoffe, viele von euch/Ihnen dort zu treffen!